Gefriergussverfahren – Eine Anleitung für komplex strukturierte Materialien

Die Aufnahme mit einem Rasterelektronenmikroskop zeigt ein komplexes Materialsystem aus Chitosan und Nanocellulose. Das Chitosan-Gerüst wurde mit dem Gefriergussverfahren hergestellt. Der Maßstab ist 100 μm. Die ausgerichteten Poren und die Rippen auf der Zellwand dienen als Struktur für die Reparatur peripherer Nerven, sie locken Axone an oder ermöglichen weitere biomedizinische Anwendungen.

Die Aufnahme mit einem Rasterelektronenmikroskop zeigt ein komplexes Materialsystem aus Chitosan und Nanocellulose. Das Chitosan-Gerüst wurde mit dem Gefriergussverfahren hergestellt. Der Maßstab ist 100 μm. Die ausgerichteten Poren und die Rippen auf der Zellwand dienen als Struktur für die Reparatur peripherer Nerven, sie locken Axone an oder ermöglichen weitere biomedizinische Anwendungen. © Kaiyang Yin / University of Freiburg

Die Röntgentomographie zeigt hier in 3D die Struktur, die ein Modellsystem auf Basis einer Zuckerlösung ausgebildet hat. Die Eiskristalle erscheinen in der Abbildung blau, die Zuckerlösung ist transparent. Bemerkenswert ist, dass sich durch den Gefrierguss sowohl wandartige Strukturen als auch kugelige „Froschfinger“ bilden.

Die Röntgentomographie zeigt hier in 3D die Struktur, die ein Modellsystem auf Basis einer Zuckerlösung ausgebildet hat. Die Eiskristalle erscheinen in der Abbildung blau, die Zuckerlösung ist transparent. Bemerkenswert ist, dass sich durch den Gefrierguss sowohl wandartige Strukturen als auch kugelige „Froschfinger“ bilden. © Paul Kamm / HZB

Gefriergussverfahren sind ein kostengünstiger Weg, um hochporöse Materialien mit hierarchischer Architektur, gerichteter Porosität und multifunktionalen inneren Oberflächen herzustellen. Gefriergegossene Materialien eignen sich für viele Anwendungen, von der Medizin bis zur Umwelt- und Energietechnik. Ein Beitrag im Fachjournal „Nature Reviews Methods Primer“ vermittelt nun eine Anleitung zu Gefriergussverfahren, zeigt einen Überblick, was gefriergegossene Werkstoffe heute leisten, und skizziert neue Einsatzbereiche. Ein besonderer Fokus liegt auf der Analyse dieser Materialien mit Tomoskopie.

„Als uns der weltbekannte „Nature“-Verlag die Möglichkeit gab, einen Nature Reviews Methods Primer mit Überblick und Anleitungen über das Gefriergussverfahren zu schreiben, waren wir begeistert“, erzählt die Materialexpertin Prof. Dr. Ulrike Wegst (Northeastern University, Boston, MA, USA und TU Berlin). „Gemeinsam mit den Tomoskopie-Experten Dr. Francisco García-Moreno und Dr. Paul Kamm  (HZB und TU Berlin), hatten Dr. Kaiyang Yin (heute Humboldt Research Fellow an der Uni Freiburg), und ich gerade erste in situ Versuche durchführen und neue Phänomene zu Eiskristallwachstum und Strukturbildung entdecken können. So lag es auf der Hand, in unserem neuen Leitfaden für "Nature Reviews Methods Primers" (Impaktfaktor 39,8) experimentellen Methoden der Gefriergussverfahren mit Verfahren zu deren Analyse zu kombinieren.“

Röntgentomoskopie: beim Gefrieren zusehen

Nach einer Einführung in Gefriergussverfahren stellt der Leitfaden auch die Methoden vor, mit denen sich die komplexen Materialarchitekturen und -eigenschaften analysieren lassen. Besondere Möglichkeiten bietet dabei die Röntgentomoskopie, mit der sich Kristallwachstum und Strukturbildung in allen Materialsystemen (polymeren, keramischen, metallischen, sowie Verbundmaterialien) direkt während des Gefrierens in Echtzeit und in 3D beobachten lassen. „Beim Gefriergießen von wässrigen Systemen wachsen Kristalle zum Beispiel unterschiedlich schnell in verschiedene Richtungen. Da sind Tomoskopie-Verfahren besonders attraktiv, weil sie es erlauben, das anisotrope Kristallwachstum quantitativ aufzuzeichnen,“ sagt García-Moreno.

Von Medizin bis zu Batterie-Elektroden

Vor über 40 Jahren wurde das Gefriergussverfahren für die Herstellung von biologischen Stützstrukturen entwickelt. Bald zeigte sich, dass gefriergegossene Materialien aufgrund ihrer hochporösen Struktur sich gut in Wirtsgewebe integrieren und Heilungsprozesse unterstützen können. Inzwischen gibt es vielfältigste Anwendungen nicht nur in der Biomedizin, sondern auch im technischen Bereich, von neuartigen Katalysatoren bis zu hochporösen Elektroden für Batterien oder Brennstoffzellen. Dafür steht eine große Vielfalt an Lösungsmitteln, gelösten Stoffen und Partikeln zur Verfügung, mit denen sich die gewünschten Strukturen, Formen und Funktionalitäten gezielt erzeugen lassen.

Wie funktioniert der Gefrierguss?

Zunächst wird eine Substanz in einem Lösungsmittel gelöst oder aufgeschwemmt. Die Flüssigkeit wird in einer Kühlzelle vom Boden her mit einer definierten Kühlrate (gerichtetes Gefrieren) abgekühlt, so dass das Lösungsmittel gefriert. Das kristallisierte Lösungsmittel wird dann über ein Sublimationsverfahren entfernt. Übrig bleibt die vormals darin gelöste Substanz, welche nun eine komplexe, hochporöse Architektur bildet.

Maßgeschneiderte Strukturen

Mit Gefriergussverfahren lassen sich gezielt hierarchisch komplexe Materialarchitekturen erzeugen, die auch die mechanischen, thermischen und viele andere Eigenschaften des Materials bestimmen. Dafür können Größe und Anzahl der Poren, ihre Geometrie und Ausrichtung sowie die Partikelpackung in den Zellwänden und die Oberflächenmerkmale der Zellwände jeweils für die gewünschte Anwendung maßgeschneidert werden.

Ausblick: Experimente unter Mikrogravitation

Nun sind Experimente auf der Internationalen Raumstation geplant. Denn dort herrscht Mikrogravitation, also eine enorm verringerte Schwerkraft, so dass Effekte durch Sedimentation und Konvektion beim Gefrierguss deutlich geringer sind. Dadurch erwarten die Experten weitere Fortschritte beim Verständnis von Gefriergussverfahren und der Herstellung von defektfreien, für bestimmte Anwendung maßgeschneiderten Werkstoffe.

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Natrium-Ionen-Batterien: Neuer Speichermodus für Kathodenmaterialien
    Science Highlight
    18.07.2025
    Natrium-Ionen-Batterien: Neuer Speichermodus für Kathodenmaterialien
    Batterien funktionieren, indem Ionen zwischen zwei chemisch unterschiedlichen Elektroden gespeichert und ausgetauscht werden. Dieser Prozess wird Interkalation genannt. Bei der Ko-Interkalation werden dagegen sowohl Ionen als auch Lösungsmittelmoleküle in den Elektrodenmaterialien gespeichert, was bisher als ungünstig galt. Ein internationales Team unter der Leitung von Philipp Adelhelm hat nun jedoch gezeigt, dass die Ko-Interkalation in Natrium-Ionen-Batterien mit den geeigneten Kathodenmaterialien funktionieren kann. Dieser Ansatz bietet neue Entwicklungsmöglichkeiten für Batterien mit hoher Effizienz und schnellen Ladefähigkeiten. Die Ergebnisse wurden in Nature Materials veröffentlicht.
  • 10 Millionen Euro Förderung für UNITE – Startup Factory Berlin-Brandenburg
    Nachricht
    16.07.2025
    10 Millionen Euro Förderung für UNITE – Startup Factory Berlin-Brandenburg
    Die UNITE – Startup Factory Berlin-Brandenburg wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie als eines von zehn bundesweiten Leuchtturmprojekten für wissenschaftsbasierte Gründungen ausgezeichnet. UNITE soll als zentrale Transfer-Plattform für technologiegetriebene Ausgründungen aus der Wissenschaft und Industrie in der Hauptstadtregion etabliert werden. Auch das Helmholtz-Zentrum Berlin wird davon profitieren.

  • Neue Abteilung am HZB: „KI und Biomolekulare Strukturen“
    Nachricht
    07.07.2025
    Neue Abteilung am HZB: „KI und Biomolekulare Strukturen“
    Dr. Andrea Thorn baut seit 1. Juli 2025 am HZB die neue Abteilung „KI und Biomolekulare Strukturen“ auf. Die Biophysikerin bringt langjährige Expertise in KI-basierten Tools für die Strukturbiologie mit und freut sich auf die enge Zusammenarbeit mit dem Team für Makromolekulare Kristallographie an den MX-Beamlines von BESSY II.