Mit neuartigem magnetischen Käfig Lebensdauer von Neutronen genau messen

Wissenschaftler des Hahn-Meitner-Instituts konnten gemeinsam mit Fachkollegen aus den USA erstmals Neutronen in einer neuartigen dreidimensionalen magnetischen Falle einschließen. Die Apparatur ist der Prototyp eines magnetischen Käfigs, der eine bisher unerreichbar exakte Bestimmung der Zerfallszeit von Neutronen verspricht. Dieses Ergebnis wurde veröffentlicht in Nature, Vol 430, 6 January 2000.

Für wissenschaftliche Berechnungen sind Naturkonstanten unabdingbare Größen. Die Lebenszeit freier Neutronen ist eine solche elementare Konstante, mit der Besonderheit, daß diese Größe bisher nur recht ungenau bekannt ist. Im Gegensatz zu anderen Teilchen des Atomkerns, deren Zerfall man bis in Bruchteile von Millisekunden genau messen konnte, hat man von der Zerfallszeit eines freien Neutrons bislang nur unscharfe Werte. Auf rund 888 Sekunden, etwa 15 Minuten, wurde die Halbwertszeit freier Neutronen in den bisherigen Messungen bestimmt.

Eine exaktere Kenntnis wäre schon deshalb nützlich, weil die Lebenszeit freier Neutronen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung unserer Welt hatte. Bei der frühen Entstehung des Universums – kurz nach dem ‘Big Bang’ – machten freie Neutronen in einer Übergangsphase von noch fundamentaleren Teilchen zu den ersten leichten Elementen einen bedeutenden Teil der Materie aus. Die Entstehung dieser leichten Elemente könnte man mit einer genaueren Kenntnis der Neutronenlebenszeit in astrophysikalischen Berechnungen wesentlich besser nachvollziehen.

Auf der Erde sind Neutronen als Bausteine der Atomkerne jedoch nicht frei, sondern fest in der Kernmaterie gebunden, wo sie äußerst stabil sind, also praktisch nicht zerfallen. Im Atomkern tragen Neutronen zu rund 50 Prozent zur gesamten Masse der festen Materie bei.

Will man freie Neutronen gewinnen, lassen sich diese nur durch die Umwandlung oder den Zerfall von Atomkernen erzeugen, vor allem durch die Kernspaltung. In der Regel reagieren freie Neutronen jedoch in kurzer Zeit mit nahezu jeder Materie der Umgebung. "Freie" Neutronen sind deshalb ohne weiteres gar nicht über längere Zeit zu beobachten.

Nachdem man in den bisher durchgeführten neueren Experimenten zur Zerfalls-Zeitmessungen von Neutronen diese vor allem in Flaschen mit materiellen Wänden gespeichert hatte, versuchte man jetzt, mit magnetischen Fallen die Teilchen auf geeignete Weise für die kurze Zeit ihrer Lebensdauer "einzufangen". Magnetische Käfige haben sich in der Teilchenphysik bewährt, da sie den Kontakt mit einer materiellen Wand ausschließen.

Neutronen sind jedoch, wie ihr Name sagt, elektrisch neutral und werden damit kaum von magnetischen Feldern beeinflusst. Lediglich ihr Spin, die Eigendrehung der Teilchen, erzeugt einen schwachen magnetischen Dipol, an dem die Magnetkräfte eines Käfigs ansetzen können. Allerdings sind die Wechselwirkungen hier sehr viel kleiner als bei Atomen oder Molekülen in magnetischen Fallen und nochmals drastisch kleiner als bei elektrisch geladenen Teilchen, wie Protonen oder Elektronen in elektrischen Fallen.

In einem Experiment am Forschungsreaktor des National Institutes of Standards (NIST) in Gaithersburg, Maryland, USA, ist es einer internationalen Wissenschaftlergruppe unter maßgeblicher Beteiligung von Robert Golub vom Berliner Hahn-Meitner-Institut und seinem Mitarbeiter Klaus Habicht jetzt erstmals gelungen, eine neuartige dreidimensionale magnetische Neutronenfalle erfolgreich zu testen.

Das magnetische Gefäß hat eine zylindrische Form mit rund 34 Zentimetern Länge und drei Zentimetern Durchmesser. In ein Ende dieses Rohres mündet die Flugbahn von Neutronen, die aus der Kernspaltung in einem Forschungsreaktor stammen. Um diese Neutronen abzubremsen und einzufangen, ist die Kammer mit tiefkaltem, superflüssigen Helium gefüllt. In Stößen mit den Heliumatomen kommt die Flugbewegung eines Teils der Neutronen so weit zur Ruhe, dass sie in dem Käfig verbleiben.

Die besondere Anordnung des Magnetfeldes, dessen Feldlinien sich an zwei gegenüberliegenden Seiten verengen, zwingt die Teilchen zu einem spiralförmigen Auf und Ab innerhalb des Rohres und verhindert so eine Wechselwirkung der Neutronen mit der Wand. Beim Zerfall eines Neutrons entstehen ein Proton, ein Anti-Neutrino und ein Elektron, was seit langem bekannt ist. In dem Versuchsaufbau ionisiert das aus dem Zerfall stammende hochenergetische Elektron auf seiner einige Millimeter langen Flugbahn mehrere Helium-Atome aus der Kammer. Die ionisierten Helium-Atome bilden mit anderen Helium-Atomen teilweise zweiatomige Moleküle, sogenannte Excimere, die nach kurzer Zeit unter Aussendung von ultraviolettem Licht wieder zerfallen. Der Zerfall eines Neutrons wird somit durch das leicht messbare Lichtsignal angezeigt.

Im Experiment wird die Falle für eine gewisse Zeit mit Neutronen befüllt. Anschließend wird der einspeisende Neutronenstrahl unterbrochen und es erfolgt ein Messzyklus. Besondere Anforderungen stellt das Experiment im Hinblick auf ein Höchstmaß an Reinheit des Heliums, um Reaktionen der Neutronen mit Fremdatomen zu vermeiden. Weitere Bemühungen im Experimentaufbau galten der Geometrie des Magnetfeldes, der thermischen Isolierung, der Abschirmung von Fremdstrahlung und der Übertragung der Lichtsignale.

Die jetzt erfolgreich erprobte Kammer sollte nur grundsätzlich das Prinzip des Versuchsaufbaus bestätigen. Erst in einer größeren Kammer und mit mehr Neutronen, die ein stärkerer Strahl einspeist, wird man zu einer neuen Bestimmung der Neutronenlebensdauer kommen können. Diese könnte bis zum 100-fachen genauer als bisherige Messungen sein. Der aus den USA stammende Wissenschaftler Golub vom Hahn-Meitner-Institut Berlin ist optimistisch, eine solche Vorhersage machen zu können, verfügt er doch immerhin über rund 20 Jahre Arbeitserfahrung auf diesem Gebiet.

Mit einer exakteren Kenntnis der Zerfallszeit des Neutrons wird Physikern auch ein besseres Verständnis der sogenannten Schwachen Wechselwirkung möglich, einer der vier elementaren Kräfte des Universums, die für den radioaktiven Beta-Zerfall verantwortlich ist. Die drei anderen Kräfte sind die Gravitation, die elektromagnetische Kraft und die Starke Wechselwirkung.

Literatur: Nature, Vol 430, 6 January 2000


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