Neue Mikroskopiemethode liefert Echtzeitvideos aus dem Mikrokosmos

Karte der Grenzen zwischen den magnetischen Domänen, die sich mit der Zeit hin und her bewegen. Die gesamte Karte ist nur ca. 700 Nanometer breit.

Karte der Grenzen zwischen den magnetischen Domänen, die sich mit der Zeit hin und her bewegen. Die gesamte Karte ist nur ca. 700 Nanometer breit. © Christopher Klose / MBI

Das Prinzip von Coherent Correlation Imaging zur Abbildung eines zufälligen Prozesses – hier symbolisch eines Münzwurfes. Eine einzelne kurze Aufnahme der Münze ist zu schwach belichtet, um das Bild auf der Münze zu erkennen. Ein neuer Algorithmus kann die Bilder aber sortieren und kombinieren, um daraus Bilder der beiden Seiten der Münze zu entwickeln und zeitlich der Filmaufnahmen zuzuordnen.

Das Prinzip von Coherent Correlation Imaging zur Abbildung eines zufälligen Prozesses – hier symbolisch eines Münzwurfes. Eine einzelne kurze Aufnahme der Münze ist zu schwach belichtet, um das Bild auf der Münze zu erkennen. Ein neuer Algorithmus kann die Bilder aber sortieren und kombinieren, um daraus Bilder der beiden Seiten der Münze zu entwickeln und zeitlich der Filmaufnahmen zuzuordnen. © Christopher Klose / MBI

Ein Wissenschaftsteam unter Leitung von Forschenden des Max-Born-Instituts in Berlin, des Helmholtz-Zentrums Berlin, des Brookhaven National Laboratory (USA) und des Massachusetts Institute of Technology (USA) hat eine neue Methode entwickelt, um mit starken Röntgenquellen Videos von Fluktuationen in Materialien auf der Nanoskala aufzunehmen. Die Methode ist in der Lage, scharfe, hochauflösende Bilder zu machen, ohne das Material durch zu starke Belichtung zu beeinträchtigen. Dafür entwickelten die Wissenschaftler*innen einen Algorithmus, der in unterbelichteten Aufnahmen Muster erkennen kann. Im Fachjournal Nature beschreiben sie die Methode des Coherent Correlation Imaging (CCI) und stellen Ergebnisse für Proben aus dünnen magnetischen Schichten vor.

Die Welt in ihren kleinsten Dimensionen ist voller Bewegung und von ständigem Wandel gekennzeichnet. Selbst in festen, äußerlich unveränderlichen Materialien können solche Fluktuationen für ungewöhnliche Eigenschaften sorgen, zum Beispiel – wie im Fall der Hochtemperatursupraleiter – für den verlustlosen Transport von elektrischem Strom. Besonders stark sind die Fluktuationen bei Phasenübergangen, wenn ein Material seinen Zustand ändert, zum Beispiel von fest nach flüssig beim Schmelzen. Die Wissenschaft untersucht aber auch Zustandsänderungen eines Materials von nicht-leitend zu leitend, nicht-magnetisch zu magnetisch oder Änderungen der Kristallstruktur. Viele dieser Prozesse werden technisch genutzt oder spielen auch in lebenden Organismen eine Rolle.

Das Dilemma: zu starke Beleuchtung zerstört die Probe

Allerdings ist es extrem schwierig, diese Prozesse genau zu beobachten oder sogar einen Film von den Fluktuationsmustern zu machen. Das Problem ist, dass die Fluktuationen sehr schnell sein können und sich auf der Größe von Nanometern abspielen – einem Millionstel Millimeter. Selbst hochauflösende Röntgen- und Elektronenmikroskope konnten diese schnelle, zufällige Bewegung nicht aufnehmen. Tatsächlich ist das Problem sogar prinzipieller Natur, wie am Beispiel einer Fotoaufnahme klar wird: Für jede scharfe Aufnahme eines Objekts benötigt man ein Mindestmaß an Beleuchtung. Möchte man das Objekt vergrößert abbilden, also „hineinzoomen“, muss man die Beleuchtung verstärken. Noch mehr Licht wird benötigt, wenn der Schnappschuss auch noch mit sehr kurzer Belichtungszeit gemacht werden soll, um die Bewegung zu einem gewissen Zeitpunkt im Bild einzufrieren. Eine immer bessere räumliche und zeitliche Auflösung führt damit irgendwann zu dem Punkt, wo ein mikroskopisches Objekt so stark beleuchtet werden müsste, dass man es mit der Beleuchtung verändert oder gar zerstört. Genau an diesem Punkt war die Wissenschaft in den letzten Jahren angekommen: Schnappschüsse, die mit Freien-Elektronen-Lasern, den heute intensivsten verfügbaren Röntgenquellen, aufgenommen wurden, führten unweigerlich zur Zerstörung der untersuchten Probe. An einen aus vielen Einzelbildern bestehenden Film der zufallsartigen Vorgänge war nicht zu denken.

Neuer Ansatz: Ein Algorithmus hilft, schwach belichtete Bilder auszuwerten

Ein internationales Forschungsteam hat nun eine Lösung für dieses Dilemma gefunden. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die Fluktuationsmuster in den Materialien oft gar nicht so zufällig sind. Schaut man sich nur einen sehr kleinen Bereich der Probe an, dann fällt auf, dass bestimmte räumliche Muster immer wieder auftreten. Wann und wie oft aber welches Muster erscheint, lässt sich nicht vorhersagen.

Die Wissenschaftler*innen entwickelten eine neue Methode zur zerstörungsfreien Abbildung, die sie Coherent Correlation Imaging (CCI) nennen: Um ein Video zu erstellen, nehmen sie weiterhin viele Schnappschüsse der Probe hintereinander auf. Dabei verringern sie die Beleuchtung so weit, dass die Probe intakt bleibt. Das führt allerdings dazu, dass sich in einer einzelnen Aufnahme das Fluktuationsmuster in der Probe nicht mehr erkennen lässt. Die Aufnahmen enthalten aber immer noch genügend Informationen, um sie voneinander zu unterscheiden und in Gruppen einzuteilen. Dafür musste das Team erst einen neuen Algorithmus entwickeln, der die Korrelationen zwischen den Aufnahmen analysiert – daher der Name der Methode. Die Aufnahmen in jeder Gruppe ähneln sich stark und stammen deshalb mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem bestimmten Fluktuationsmuster. Erst in der Zusammenschau aller in einer Gruppe zusammengefassten Aufnahmen entwickelt sich ein scharfes Bild der Probe. Die Wissenschaftler*innen können nun den Film zurückspulen und jeder Aufnahme ein scharfes Bild des Zustands der Probe zu diesem Zeitpunkt zuordnen.

Beispiel: Fluktuationen von magnetischen Domänen gefilmt

Mit Hilfe dieser neuen Methode haben die Wissenschaftler*innen ein interessantes Problem aus der Welt des Magnetismus analysiert. Sie schauten sich mikroskopisch kleine Muster an, wie sie in sehr dünnen ferromagnetischen Schichten auftreten. Diese Schichten bilden so genannte Domänen aus: Bereiche, wo die Magnetisierung nach oben zeigt und Bereiche, wo sie nach unten zeigt. Ähnliche magnetische Schichten werden in heutigen Festplatten eingesetzt, um mit den unterschiedlichen Bereichen die Daten als Bits „0“ und „1“ auf der Festplatte zu kodieren. Bisher glaubte man, dass diese Muster sehr stabil sind. Doch trifft das wirklich zu?

Um dies herauszufinden, untersuchte das Team eine eben solche dünne magnetische Schicht an einer der modernsten Röntgenstrahlungsquellen, der National Synchrotron Light Source II auf Long Island nahe New York, mit der neu entwickelten Methode CCI. Tatsächlich stellten sie fest, dass sich die Muster bei Raumtemperatur nicht ändern. Erhöht man aber die Temperatur nur leicht auf 37°C, fangen die Bereiche an, sich sprunghaft hin- und herzubewegen und sich gegenseitig zu verdrängen. Diesen „Tanz der Domänen“ beobachteten die Wissenschaftler*innen über mehrere Stunden und erstellten im Anschluss eine Art „Landkarte“, die die bevorzugte Lage der Grenzen zwischen den Domänen zeigt. Diese Karte und der Film der Bewegungen erlauben es nun, die magnetischen Wechselwirkungen in den Materialien besser zu verstehen und diese für zukünftige Anwendungen in neuartigen Computerarchitekturen zu nutzen.

Großer Fortschritt für Materialforschung und Festkörperphysik an Röntgenquellen

Das nächste Ziel der Wissenschaftler*innen ist es, die neue Abbildungsmethode an Freien-Elektronen-Lasern wie dem European XFEL in Hamburg zu nutzen, um Einblicke in noch viel schnellere Prozesse auf den kleinsten Längenskalen zu gewinnen. Sie sind überzeugt, dass ihre Methode dazu beitragen wird, die Rolle von Fluktuationen und stochastischen Prozessen für die Eigenschaften moderner Materialen besser zu verstehen und damit auch neue Wege zu entdecken, wie sie sich gezielt ausnutzen lassen.

Bastian Pfau / MBI

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