Corona-Forschung an BESSY II: Zwei Tage Messbetrieb für die Suche nach dem richtigen Schlüssel

Schematische Darstellung der Coronavirus-Protease. Das Enzym kommt als Dimer bestehend aus zwei identischen Molekülen vor. Ein Teil des Dimers ist in Farbe dargestellt (grün und violett), der andere in grau. Das kleine Molekül in gelb bindet an das aktive Zentrum der Protease und könnte als Blaupause für einen Hemmstoff dienen.

Schematische Darstellung der Coronavirus-Protease. Das Enzym kommt als Dimer bestehend aus zwei identischen Molekülen vor. Ein Teil des Dimers ist in Farbe dargestellt (grün und violett), der andere in grau. Das kleine Molekül in gelb bindet an das aktive Zentrum der Protease und könnte als Blaupause für einen Hemmstoff dienen. © Helena Tabermann/HZB

Kurzfilm: Ein wichtiges Protein des SARS-CoV2-Virus ist an BESSY II entschlüsselt worden. Damit können schneller wirksame Gegenmittel entwickelt werden. © HGmedien/HZB

02:56

Die Berliner Synchrotronquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) nimmt für zwei Tage den Betrieb wieder auf. Mit der intensiven Röntgenstrahlung von BESSY II wollen Forscher nach Wirkstoffen gegen das Coronavirus SARS-CoV2 suchen. Fast zweihundert Proben aus einem wichtigen Protein des Virus werden in den kommenden Stunden untersucht. Die Proben sind mit unterschiedlichen Molekülen getränkt, die als Bestandteile von Wirkstoffen in Frage kommen. Die Analysen werden zeigen, ob bestimmte Moleküle besonders gut an das Proteinmolekül andocken und damit die Vermehrung des Virus behindern können. Diese Moleküle könnten Bestandteile eines künftigen Wirkstoffs werden. 

Bereits im Februar hatten Prof. Dr. Rolf Hilgenfeld (Universität Lübeck) und sein Team an der Röntgenquelle BESSY II die Struktur eines Proteins des SARS-CoV-2-Virus entschlüsselt. Es handelt sich dabei um die Hauptprotease, die an der Vermehrung der Viren beteiligt ist. Für die Funktion dieser Protease ist ihre dreidimensionale Gestalt entscheidend, insbesondere die Umgebung von so genannten aktiven Zentren im Molekül.

3D-Struktur der Protease an BESSY II entschlüsselt

Durch Messungen an den MX-Messplätzen an BESSY II konnte die 3D-Struktur der Protease im Detail ermittelt werden. „Das war ein großer Durchbruch“, sagt Dr. Manfred Weiss, der das MX-Team an BESSY II leitet. „Sobald die 3D-Struktur bekannt ist, kann man gezielt nach Wirkstoffen suchen, die diese Protease blockieren und damit die Vermehrung der Viren verhindern“, erklärt Weiss.

Systematische Suche nach Wirkstoffen

An BESSY II hat das MX-Team seit einigen Jahren ein Verfahren aufgebaut, das nun eine systematische Suche nach Wirkstoffen ermöglicht: Das Fragment-Screening. Denn ein geeigneter Wirkstoff muss Bestandteile oder Fragmente besitzen, die genau auf die 3D-Struktur des Proteins zugeschnitten sind. Sie müssen wie ein Schlüssel ins Schloss passen, damit sie die Funktion des Proteins behindern.

Eine Fragment-Bibliothek besteht aus hunderten von Molekülgruppen, die als Bestandteile von Wirkstoffen in Frage kommen. Und wie ein Einbrecher einen Dietrich nutzt, um nach und nach herauszufinden, wie der perfekte Schlüssel für den Safe aussieht, so kann die Forschung das Fragment-Screening nutzen. Nach und nach werden damit unterschiedliche Moleküle getestet, bis die besten Komponenten für einen passenden Wirkstoff identifziert sind.

Fast 200 Proben werden nun analysiert

Dr. Linlin Zhang  aus dem Lübecker Team hat nun eine große Anzahl von Proteinkristallen hergestellt und jede Probe mit einer anderen Verbindung aus der Fragment-Bibliothek getränkt. Diese Proben werden nun an BESSY II untersucht. Aus den Ergebnissen lässt sich ermitteln, welche Fragmente überhaupt im aktiven Zentrum der viralen Protease andocken. Diese Fragmente kommen dann als Bestandteile für einen Wirkstoff in Frage. 

„Natürlich müssen im Anschluss weitere Experimente und Messreihen erfolgen, sowohl Versuche am Tiermodell als auch an menschlichen Zellkulturen“, sagt Weiss. Aber angesichts der unendlichen Anzahl von chemischen Verbindungen bietet diese systematische Vorauswahl an vielversprechenden Bausteinen die Chance auf eine enorme Beschleunigung.

„Wir haben zunächst mit der kleineren Bibliothek aus 96 Fragmenten begonnen“, sagt Weiss. „Aber sollte es nicht genug Treffer geben, können wir auch auf eine deutlich größere Bibliothek zugreifen“.

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Die Zukunft der Korallen – Was Röntgenuntersuchungen zeigen können
    Interview
    12.11.2025
    Die Zukunft der Korallen – Was Röntgenuntersuchungen zeigen können
    In diesem Sommer war es in allen Medien. Angetrieben durch die Klimakrise haben nun auch die Ozeane einen kritischen Punkt überschritten, sie versauern immer mehr. Meeresschnecken zeigen bereits erste Schäden, aber die zunehmende Versauerung könnte auch die kalkhaltigen Skelettstrukturen von Korallen beeinträchtigen. Dabei leiden Korallen außerdem unter marinen Hitzewellen und Verschmutzung, die weltweit zur Korallenbleiche und zum Absterben ganzer Riffe führen. Wie genau wirkt sich die Versauerung auf die Skelettbildung aus?

    Die Meeresbiologin Prof. Dr. Tali Mass von der Universität Haifa, Israel, ist Expertin für Steinkorallen. Zusammen mit Prof. Dr. Paul Zaslansky, Experte für Röntgenbildgebung an der Charité Berlin, untersuchte sie an BESSY II die Skelettbildung bei Babykorallen, die unter verschiedenen pH-Bedingungen aufgezogen wurden. Antonia Rötger befragte die beiden Experten online zu ihrer aktuellen Studie und der Zukunft der Korallenriffe. 

  • Energie von Ladungsträgerpaaren in Kuprat-Verbindungen
    Science Highlight
    05.11.2025
    Energie von Ladungsträgerpaaren in Kuprat-Verbindungen
    Noch immer ist die Hochtemperatursupraleitung nicht vollständig verstanden. Nun hat ein internationales Forschungsteam an BESSY II die Energie von Ladungsträgerpaaren in undotiertem La₂CuO₄ vermessen. Die Messungen zeigten, dass die Wechselwirkungsenergien in den potenziell supraleitenden Kupferoxid-Schichten deutlich geringer sind als in den isolierenden Lanthanoxid-Schichten. Die Ergebnisse tragen zum besseren Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung bei und könnten auch für die Erforschung anderer funktionaler Materialien relevant sein.
  • Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Science Highlight
    31.10.2025
    Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Hybride Elektrokatalysatoren können beispielsweise gleichzeitig grünen Wasserstoff und wertvolle organische Verbindungen produzieren. Dies verspricht wirtschaftlich rentable Anwendungen. Die komplexen katalytischen Reaktionen, die bei der Herstellung organischer Verbindungen ablaufen, sind jedoch noch nicht vollständig verstanden. Moderne Röntgenmethoden an Synchrotronquellen wie BESSY II ermöglichen es, Katalysatormaterialien und die an ihren Oberflächen ablaufenden Reaktionen in Echtzeit, in situ und unter realen Betriebsbedingungen zu analysieren. Dies liefert Erkenntnisse, die für eine gezielte Optimierung genutzt werden können. Ein Team hat nun in Nature Reviews Chemistry einen Überblick über den aktuellen Wissensstand veröffentlicht.