Ultraschnelle Dissoziation von Molekülen an BESSY II analysiert

An BESSY II wurde beobachtet, wie Röntgenphotonen einen „molekularen Katapulteffekt“ auslösen: Leichte Atomgruppen werden zuerst herausgeschleudert, ähnlich wie Geschosse aus einem Katapult, während die schwereren Atome – Brom und Chlor – sich deutlich langsamer trennen. Das Bild wurde auf dem Cover von "The Journal of Physical Chemistry Letters" abgedruckt.

An BESSY II wurde beobachtet, wie Röntgenphotonen einen „molekularen Katapulteffekt“ auslösen: Leichte Atomgruppen werden zuerst herausgeschleudert, ähnlich wie Geschosse aus einem Katapult, während die schwereren Atome – Brom und Chlor – sich deutlich langsamer trennen. Das Bild wurde auf dem Cover von "The Journal of Physical Chemistry Letters" abgedruckt. © The Journal of Physical Chemistry Letters

Ein internationales Team hat an BESSY II erstmals beobachtet, wie schwere Moleküle (Bromchlormethan) in kleinere Fragmente zerfallen, wenn sie Röntgenlicht absorbieren. Mit einer neu entwickelten Analysemethode gelang es ihnen, die ultraschnelle Dynamik dieses Prozesses sichtbar zu machen. Dabei lösen die Röntgenphotonen einen „molekularen Katapulteffekt“ aus: Leichte Atomgruppen werden zuerst herausgeschleudert, ähnlich wie Geschosse, die von einem Katapult abgeschossen werden, während die schwereren Atome – Brom und Chlor – sich deutlich langsamer trennen.

 

Treffen Röntgenstrahlen auf Moleküle, können sie Elektronen aus bestimmten Orbitalen in extrem energiereiche Zustände versetzen, wodurch chemische Bindungen aufbrechen. Dies geschieht oft extrem schnell, in nur wenigen Femtosekunden (10-15s). Dieses Phänomen wurde bereits bei leichten Molekülen wie Ammoniak, Sauerstoff, Salzsäure oder einfachen Kohlenstoffverbindungen untersucht, aber bisher noch kaum bei Molekülen mit schwereren Atomen.

Ein Team aus Frankreich und Deutschland hat nun den schnellen Zerfall von Molekülen untersucht, die Halogene enthalten. Sie konzentrierten sich auf ein Molekül, in dem Brom- und Chloratome durch eine leichte eine Alkylengruppe (CH2) verbunden sind. Die Messungen fanden an der XUV-Beamline von BESSY II statt.

Durch die Absorption des Röntgenlichts brachen Molekülbindungen auf und ionische Fragmente entstanden, die analysiert werden konnten. Tatsächlich gelang es den Forschenden, aus den Messdaten eine Visualisierung des Prozesses zu erstellen. Sie zeigt, wie sich Atome in den flüchtigen Zwischenzuständen bewegen, kurz bevor die Bindungen wirklich aufbrechen. Dafür entwickelte das Team eine neue Analysemethode namens IPA (Ion Pair Average) und kombinierte sie mit theoretischen Ab-initio-Berechnungen, um die Prozesse zu rekonstruieren.

Die Ergebnisse zeigten, dass leichte Atomgruppen wie CH2 zuerst ausgestoßen werden, während die schwereren Atome – Brom und Chlor – zurückbleiben und sich folglich langsamer trennen. Interessanterweise tritt dieses katapultartige Verhalten nur bei bestimmten Röntgenenergien auf. Theoretische Simulationen, die mit experimentellen Beobachtungen übereinstimmen, unterstreichen die entscheidende Rolle von Schwingungen der leichteren Atomgruppen bei der Auslösung dieser ultraschnellen Reaktionen.

„Diese Studie beleuchtet die einzigartige Dynamik der molekularen Dissoziation unter Röntgenbestrahlung“, sagt Dr. Oksana Travnikova (CNRS, Université Sorbonne, Frankreich), Erstautorin der Studie, die nun in J. Phys. Chem. Lett. erschienen ist. Insbesondere zeigt sie, dass die katapultartige Bewegung leichter Gruppen die Trennung schwerer Fragmente einleitet, ein Prozess, der sich in bemerkenswert kurzen Zeiträumen entfaltet. Diese Erkenntnisse vertiefen das Verständnis von chemischen Reaktionen auf molekularer Ebene und zeigen, wie sich energiereiche Strahlung auf komplexe Moleküle auswirkt.

CCdM/arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Energie von Ladungsträgerpaaren in Kuprat-Verbindungen
    Science Highlight
    05.11.2025
    Energie von Ladungsträgerpaaren in Kuprat-Verbindungen
    Noch immer ist die Hochtemperatursupraleitung nicht vollständig verstanden. Nun hat ein internationales Forschungsteam an BESSY II die Energie von Ladungsträgerpaaren in undotiertem La₂CuO₄ vermessen. Die Messungen zeigten, dass die Wechselwirkungsenergien in den potenziell supraleitenden Kupferoxid-Schichten deutlich geringer sind als in den isolierenden Lanthanoxid-Schichten. Die Ergebnisse tragen zum besseren Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung bei und könnten auch für die Erforschung anderer funktionaler Materialien relevant sein.
  • Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Science Highlight
    31.10.2025
    Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Hybride Elektrokatalysatoren können beispielsweise gleichzeitig grünen Wasserstoff und wertvolle organische Verbindungen produzieren. Dies verspricht wirtschaftlich rentable Anwendungen. Die komplexen katalytischen Reaktionen, die bei der Herstellung organischer Verbindungen ablaufen, sind jedoch noch nicht vollständig verstanden. Moderne Röntgenmethoden an Synchrotronquellen wie BESSY II ermöglichen es, Katalysatormaterialien und die an ihren Oberflächen ablaufenden Reaktionen in Echtzeit, in situ und unter realen Betriebsbedingungen zu analysieren. Dies liefert Erkenntnisse, die für eine gezielte Optimierung genutzt werden können. Ein Team hat nun in Nature Reviews Chemistry einen Überblick über den aktuellen Wissensstand veröffentlicht.
  • BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Science Highlight
    21.10.2025
    BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Erstmals ist es einem Team an BESSY II gelungen, experimentell eindimensionale elektronische Eigenschaften in Phosphor nachzuweisen. Die Proben bestanden aus kurzen Ketten aus Phosphoratomen, die sich auf einem Silbersubstrat selbst organisiert in bestimmten Winkeln bilden. Durch eine raffinierte Auswertung gelang es, die Beiträge von unterschiedlich ausgerichteten Ketten voneinander zu trennen und zu zeigen, dass die elektronischen Eigenschaften tatsächlich einen eindimensionalen Charakter besitzen. Berechnungen zeigten darüber hinaus, dass ein spannender Phasenübergang zu erwarten ist. Während das Material aus einzelnen Ketten halbleitend ist, wäre eine sehr dichte Kettenstruktur metallisch.