Die Zukunft der Korallen – Was Röntgenuntersuchungen zeigen können

Steinkorallen im Roten Meer sind artenreiche Ökosysteme, in denen viele Fische und andere Meeresorganismen leben. Das Riff wird von unzähligen Korallentieren (Polypen) gebildet. Die Korallen leben in Symbiose mit bestimmten Algen, die ihnen ihre leuchtenden Farben verleihen.

Steinkorallen im Roten Meer sind artenreiche Ökosysteme, in denen viele Fische und andere Meeresorganismen leben. Das Riff wird von unzähligen Korallentieren (Polypen) gebildet. Die Korallen leben in Symbiose mit bestimmten Algen, die ihnen ihre leuchtenden Farben verleihen. © Tali Mass

Tali Mass ist eine erfahrene Taucherin. Hier befestigt sie die Netze, um Planula-Larven zu sammeln, nachdem die Korallen gelaicht haben.

Tali Mass ist eine erfahrene Taucherin. Hier befestigt sie die Netze, um Planula-Larven zu sammeln, nachdem die Korallen gelaicht haben. © Hagai Nativ

Die tomografische Rekonstruktion zeigt die 3D-Architektur aus Kalzifizierungszenten, RADs (rot/gelb), und faserartigen Strukturen, TDs (grau) in Korallenpolypen, die unter normalen Bedingungen (pH 8,2, linkes Bild) und unter Bedingungen starker Ozeanversauerung (pH 7,6, rechtes Bild) gezüchtet wurden.

Die tomografische Rekonstruktion zeigt die 3D-Architektur aus Kalzifizierungszenten, RADs (rot/gelb), und faserartigen Strukturen, TDs (grau) in Korallenpolypen, die unter normalen Bedingungen (pH 8,2, linkes Bild) und unter Bedingungen starker Ozeanversauerung (pH 7,6, rechtes Bild) gezüchtet wurden. © Advanced Science (2025), DOI: 10.1002/advs.202508585

Die Vergrößerung zeigt deutlich, dass sich unter normalen Bedingungen (links) deutlich mehr RADs bilden als im RCP8.5-Szenario von 2100 (rechts).

Die Vergrößerung zeigt deutlich, dass sich unter normalen Bedingungen (links) deutlich mehr RADs bilden als im RCP8.5-Szenario von 2100 (rechts). © Advanced Science (2025), DOI: 10.1002/advs.202508585

Tali Mass ist Professorin am Institut für Meeresbiologie der Leon H. Charney School of Marine Sciences der Universität Haifa, Israel. Sie will verstehen, wie Korallen es schaffen, Biomineralien abzuscheiden. Darüber hinaus untersucht sie, wie Kalkerzeugende Meeresorganismen auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren, und welche Rolle die Algensymbionten (Gattung Symbiodinium) bei der Kalzifizierung von Korallen spielen.

Tali Mass ist Professorin am Institut für Meeresbiologie der Leon H. Charney School of Marine Sciences der Universität Haifa, Israel. Sie will verstehen, wie Korallen es schaffen, Biomineralien abzuscheiden. Darüber hinaus untersucht sie, wie Kalkerzeugende Meeresorganismen auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren, und welche Rolle die Algensymbionten (Gattung Symbiodinium) bei der Kalzifizierung von Korallen spielen. © Hagai Nativ

Paul Zaslansky, Federica Scucchia und Tali Mass (v.l.n.r.) während der Strahlzeit an BESSY II.

Paul Zaslansky, Federica Scucchia und Tali Mass (v.l.n.r.) während der Strahlzeit an BESSY II. © Team

Korallen filtern Mikroplankton, Nährstoffe und Spurenelemente aus dem Wasser. Sie sind jedoch auch auf symbiotische Algen angewiesen, die sie in ihrem Außengewebe speichern. Diese Algen verleihen den Korallen ihre intensiven Farben. 

Korallen filtern Mikroplankton, Nährstoffe und Spurenelemente aus dem Wasser. Sie sind jedoch auch auf symbiotische Algen angewiesen, die sie in ihrem Außengewebe speichern. Diese Algen verleihen den Korallen ihre intensiven Farben.  © Tali Mass

Während mariner Hitzewellen beginnen die Algen, giftige Substanzen zu produzieren. Infolgedessen stoßen die Korallen die Algen ab, sie „bleichen“ aus und sterben kurz darauf ab. Die globale Erwärmung führt dazu, dass starke marine Hitzewellen viel häufiger auftreten, was die Gesundheit von Korallenriffen weltweit bedroht.

Während mariner Hitzewellen beginnen die Algen, giftige Substanzen zu produzieren. Infolgedessen stoßen die Korallen die Algen ab, sie „bleichen“ aus und sterben kurz darauf ab. Die globale Erwärmung führt dazu, dass starke marine Hitzewellen viel häufiger auftreten, was die Gesundheit von Korallenriffen weltweit bedroht. © Tali Mass

Korallenriffe sind Lebensraum für viele Meeresbewohner. Ihre Zukunft ist unsicher. 

Korallenriffe sind Lebensraum für viele Meeresbewohner. Ihre Zukunft ist unsicher.  © Tali Mass

Paul Zaslansky an der BAMline bei BESSY II, mit Kollegin Katrein Sauer im Hintergrund.

Paul Zaslansky an der BAMline bei BESSY II, mit Kollegin Katrein Sauer im Hintergrund. © Paul Zaslansky

In diesem Sommer war es in allen Medien. Angetrieben durch die Klimakrise haben nun auch die Ozeane einen kritischen Punkt überschritten, sie versauern immer mehr. Meeresschnecken zeigen bereits erste Schäden, aber die zunehmende Versauerung könnte auch die kalkhaltigen Skelettstrukturen von Korallen beeinträchtigen. Dabei leiden Korallen außerdem unter marinen Hitzewellen und Verschmutzung, die weltweit zur Korallenbleiche und zum Absterben ganzer Riffe führen. Wie genau wirkt sich die Versauerung auf die Skelettbildung aus?

Die Meeresbiologin Prof. Dr. Tali Mass von der Universität Haifa, Israel, ist Expertin für Steinkorallen. Zusammen mit Prof. Dr. Paul Zaslansky, Experte für Röntgenbildgebung an der Charité Berlin, untersuchte sie an BESSY II die Skelettbildung bei Babykorallen, die unter verschiedenen pH-Bedingungen aufgezogen wurden. Antonia Rötger befragte die beiden Experten online zu ihrer aktuellen Studie und der Zukunft der Korallenriffe. 

Welche Korallenarten haben Sie untersucht?

Tali Mass: Es handelt sich um Korallenlarven aus Kolonien der Steinkoralle Stylophora pistillata aus dem Roten Meer. Wir haben sie im April 2020 während der Laichnächte in einer Tiefe von wenigen Metern selbst gesammelt. Sie stammen aus dem Riff im Golf von Eilat, Israel. Wir haben diese Larven mehrere Wochen lang in unserem Aquariensystem bei unterschiedlichen pH-Bedingungen wachsen lassen. Einige Becken enthielten normales Meerwasser, während andere Bedingungen simulierten, wie sie für das Ende dieses Jahrhunderts ohne weltweiten Klimaschutz prognostiziert werden. Dieses Szenario, das unter dem Kürzel RCP8.5 läuft, bedeutet eine erhebliche Versauerung der Ozeane, verbunden mit einem globalen Temperaturanstieg von vier Grad oder mehr, was voraussichtlich zu großen globalen Störungen führen wird. In diesem Zusammenhang geben uns Korallen einen Einblick in eine mögliche, düstere Zukunft.

Wie bilden Korallen diese komplexen Strukturen?

Tali Mass: Das Überleben der Korallen hängt von der Bildung eines robusten Skeletts in ganz frühen Lebensphasen ab. Jedes einzelne Korallentier baut dabei an der Struktur mit, indem es das Mineral Kalziumkarbonat absondert.  

Paul Zaslansky: Das Skelett besteht aus zwei verschiedenen Komponenten: den Kalzifizierungszentren (RADs) sowie faserartigen Strukturen (TDs). RADs bestehen aus körnigem Kalziumkarbonat, während TDs aus dicht gepackten, länglichen Kristallen bestehen, hauptsächlich Aragonit. Seltsamerweise ist vieles über den Prozess des Skelettwachstums noch unklar. Allgemein wurde angenommen, dass sich zuerst die RADs bilden, und sich danach die TDs anheften, die nach außen wachsen.

Warum sind diese Details wichtig?

Tali Mass: Detaillierte Kenntnisse über die Skelettbildung von Korallen sind wichtig, insbesondere auch für die Vorhersage der Zukunft und die Suche nach Möglichkeiten zum Eingreifen. Damit könnten wir Schutzstrategien entwickeln, die wir auch in der Praxis testen könnten. Gleichzeitig ist es einfach faszinierend zu erforschen, wie solche komplexen Skelettarchitekturen in der Natur entstehen. Dies könnte sogar eine Inspiration für die Entwicklung neuer Materialien sein.

Wie konnten sie die Skelettbildung untersuchen?

Paul Zaslansky: An der BAMline bei BESSY II haben wir einen Weg gefunden, direkt und dreidimensional zu visualisieren, wo und wann sich die Mineralphasen der Korallen gebildet haben. Mit kontrastverstärkter und absorptions-tomografischer Bildgebung und sorgfältiger KI-gestützter Analyse der großen Datenmengen haben wir die Proben untersucht. Die Ergebnisse waren ziemlich unerwartet. Um sicherzustellen, dass sie echt waren, haben wir sie überprüft und dafür verschiedene Methoden kombiniert: hochauflösende Synchrotron-Röntgen-μCT, Rasterelektronenmikroskopie (REM) und Röntgenbeugung (XRD) sowie Röntgenfluoreszenz (XRF)-Kartierung. So konnten wir die Mineralphasen unterscheiden, ihre Zusammensetzung entschlüsseln und ihre dreidimensionale Wachstumsdynamik verstehen. Außerdem haben wir Monte-Carlo-Simulationen verwendet, um die Ergebnisse richtig zu interpretieren.

Was ist dabei herausgekommen?

Paul Zaslansky: Tatsächlich können wir nun die Skelettstruktur, einschließlich der mineralischen Zusammensetzung von TDs und RADs, viel besser beschreiben. Unsere Daten zeigen, dass RADs und TDs gleichzeitig entstehen und nicht nacheinander, wie angenommen. Dies erhellt auch, wie sich Korallen an ihre Umgebung anpassen. Wir haben deutliche Unterschiede unter normalen und unter versauerten Meeresbedingungen beobachtet. Bei starker Versauerung, d. h. einem pH-Wert von 7,6, entwickeln sich RADs nur unzureichend, was die Stabilität des Skeletts verringert. Gleichzeitig haben wir beobachtet, dass sowohl TDs als auch RADs unter sauren Bedingungen eine höhere Dichte aufweisen als unter normalen Bedingungen. Dies deutet darauf hin, dass die Korallen ihre Kristallproduktion anpassen. Das ist faszinierend.

Was erwarten Sie für die Zukunft? Wird es noch Korallenriffe geben?

Tali Mass: Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Auswirkungen der Ozeanversauerung auf die Skelettbildung von Korallen komplexer sind als bisher angenommen. Ob dies ausreicht, um ihr Überleben zu sichern, ist sehr fraglich. Bislang haben sich die Korallen im Roten Meer als beeindruckend widerstandsfähig gegenüber Hitzewellen erwiesen, aber das könnte sich ändern, wenn globale Erwärmung und Versauerung weiter voranschreiten. Wir können sehen, dass ein niedrigerer pH-Wert zu weniger Stabilität führt, was definitiv ein zusätzlicher Stressfaktor ist. Wir brauchen dringend wirksame Klimaschutzmaßnahmen, um die schlimmsten Szenarien zu verhindern.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Infobox: Steinkorallen

Steinkorallen laichen zu bestimmten Zeiten im Jahr. Zunächst entwickelt sich der Laich zu einer Planula-Larve, die im Ozean treibt und sich dann irgendwo auf einem bestehenden Riff niederlässt, um zu einem winzigen Polypen zu werden. Diese Polypen scheiden eine Kalziumverbindung aus, wodurch das Riff wachsen kann. Korallen filtern Mikroplankton, Nährstoffe und Spurenelemente aus dem Wasser. Sie sind jedoch auch auf symbiotische Algen angewiesen, die sie in ihrem Außengewebe speichern. Diese Algen verleihen den Korallen ihre intensiven Farben. Während mariner Hitzewellen beginnen die Algen, giftige Substanzen zu produzieren. Infolgedessen stoßen die Korallen die Algen ab, sie „bleichen“ aus und sterben kurz darauf ab. Die globale Erwärmung führt dazu, dass starke marine Hitzewellen viel häufiger auftreten, was die Gesundheit von Korallenriffen weltweit bedroht. Darüber hinaus treibt der Klimawandel die Versauerung der Ozeane voran. Die deutlich saurere Umgebung hat schädliche Auswirkungen auf das Korallenskelett, was wiederum das Wachstum der Korallen gefährdet.

Infobox: BESSY II:

BESSY II ist eine Synchrotronstrahlungsquelle, die extrem brillante, intensive Röntgenimpulse für die Materialforschung erzeugt. Es stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um Proben sowohl hinsichtlich ihrer strukturellen Zusammensetzung als auch hinsichtlich der chemischen und physikalischen Prozesse, die während der Untersuchung ablaufen, zu analysieren. An der BAM-Linienbildgebungsstation können innerhalb weniger Minuten dreidimensionale Computertomogramme mit Submikronauflösung und Röntgenkontrastverstärkung aufgenommen werden.

 

Interview: Antonia Rötger

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