„Haut mit Muskeln“: Einfache Formeln beschreiben komplexes Verhalten

Rasterelektronenmikroskopie der Membran.

Rasterelektronenmikroskopie der Membran. © MPIKGF

In einer Zehntelsekunde rollt sich die Membran auf, wenn sie mit Azeton (blau) bedampft wird. </p>
<p>

In einer Zehntelsekunde rollt sich die Membran auf, wenn sie mit Azeton (blau) bedampft wird.

© MPIKGF

HZB-Forscher hilft Chemikern, mechanische Eigenschaften „biomimetischer“ Materialien zu verstehen

Seegurken verändern die Steifigkeit ihrer Haut, Venusfliegenfallen rollen ihre Blätter blitzschnell zusammen und auch Tannenzapfen können bei steigender Luftfeuchtigkeit ihre Schuppen zuklappen: Die Natur hat im Lauf der Evolution komplexe Materialien entwickelt, die auf äußere Reize mit mechanischer Bewegung reagieren. Das versuchen nun Chemiker ebenfalls, und mit Erfolg: Ein besonders schönes Ergebnis ist jetzt einem Team um  Dr. Jiayin Yuan aus dem MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm gelungen. Sie haben eine Membran synthetisiert, die sich extrem rasch zusammenrollt, wenn sie mit Dämpfen in Berührung kommt.

Welche Faktoren dabei für die hohe Geschwindigkeit sorgen, konnte nun Prof. Dr. Joe Dzubiella, ein theoretischer Physiker aus dem HZB, zeigen. In Nature communications berichten die Forscher über ihre Ergebnisse.

Das Material ist porös wie ein Schwamm und besteht aus Polymeren, die untereinander vernetzt sind. Dabei sind die oberen Schichten deutlich enger vernetzt als die unteren. Sobald die Membran nun bestimmte Gasmoleküle wie Azeton aufnimmt, quillt sie oben stärker auf als unten, so dass sie sich krümmt und zusammenrollt.

Diffusionsgleichung und einfache Geometrie

„Jiayin Yuan und sein Team haben die Phänomene bereits sehr gut beschrieben, darauf konnten wir aufsetzen“, berichtet Dzubiella. Er nahm daher an, dass die Gasmoleküle zunächst durch die Membran hindurchwandern oder „diffundieren“. Die Zeit, die sie benötigen, um die Membran zu durchdringen, wird durch die „Diffusionsgleichung“ beschrieben und hängt sowohl von der Porengröße als auch von der Dicke der Membran ab: Je größer die Poren sind und je dünner die Membran, desto schneller wandern die Gasmoleküle durch die Schicht. Genau dieses Verhalten, das die Diffusionsgleichung quantitativ beschreibt, haben die Chemiker bereits im Labor beobachtet.

Außerdem hat Dzubiella gezeigt, warum sich diese Membran regelrecht aufwickelt, wenn sie bedampft wird, also einen besonders kleinen Krümmungsradius besitzt:  „Das ist einfach Geometrie“, sagt er, „denn wenn die Membran sehr dünn ist,  genügen schon ganz kleine Ausdehnungen der oberen Schichten, um sie stark zu krümmen.“  Binnen einer zehntel Sekunde krümmt sich die Membran zum Kreis, nach einer halben Sekunde ist sie mehrfach aufgerollt. Das ist zehnmal schneller als bei vergleichbaren Materialien.

Membran reagiert auch auf Parfum

Joe Dzubiella arbeitet zusammen mit seinem Postdoc Dr. Jan Heyda nun weiter daran, die Bewegung und Einbettung der Gasmoleküle im Netzwerk der Membran auf dem Computer zu simulieren. Denn auf mikroskopischer Ebene sind die Vorgänge komplex, insbesondere können ganz unterschiedliche Wechselwirkungen zwischen den Polymermolekülen und den Gasen auftreten. So nimmt das Polymernetzwerk auch Wassermoleküle aus der Luftfeuchtigkeit auf. Wenn dann die Membran mit Azeton in Kontakt kommt, wandern Azetonmoleküle ins Netzwerk ein und verdrängen die Wassermoleküle. „Häufig zeigen dann erst Simulationen, wie das ablaufen könnte und welche Prozesse und Faktoren dabei entscheidend sind. Diese Erkenntnisse helfen dann wiederum den Chemikern, im Labor zielgerichtet den einen oder anderen Parameter zu optimieren um die gewünschten Eigenschaften zu erreichen“, erklärt Dzubiella.

Bei den Anwendungen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt; man könnte zum Beispiel auch andere Materialien mit solchen Membranen beschichten, die sich dann zusammenfalten, wenn sie mit bestimmten Molekülen in Kontakt kommen. Wie die Chemiker bereits gezeigt haben,  funktioniert das Zusammenrollen nicht nur mit dem stechend riechenden Azeton, sondern sogar mit französischem Parfum.

Originalpublikation: An instant multi-responsive porous polymer actuator driven by solvent molecule sorption
Qiang Zhao, John W.C. Dunlop, Xunlin Qiu, Feihe Huang, Zibin Zhang, Jan Heyda, Joachim Dzubiella, Markus Antonietti und Jiayin Yuan

Nature Communications, 1. Juli 2014; DOI: 10.1038/ncomms5293

Die Presseinfo des MPIKGF finden Sie hier.


arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Science Highlight
    31.10.2025
    Elektrokatalyse mit doppeltem Nutzen – ein Überblick
    Hybride Elektrokatalysatoren können beispielsweise gleichzeitig grünen Wasserstoff und wertvolle organische Verbindungen produzieren. Dies verspricht wirtschaftlich rentable Anwendungen. Die komplexen katalytischen Reaktionen, die bei der Herstellung organischer Verbindungen ablaufen, sind jedoch noch nicht vollständig verstanden. Moderne Röntgenmethoden an Synchrotronquellen wie BESSY II ermöglichen es, Katalysatormaterialien und die an ihren Oberflächen ablaufenden Reaktionen in Echtzeit, in situ und unter realen Betriebsbedingungen zu analysieren. Dies liefert Erkenntnisse, die für eine gezielte Optimierung genutzt werden können. Ein Team hat nun in Nature Reviews Chemistry einen Überblick über den aktuellen Wissensstand veröffentlicht.
  • BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Science Highlight
    21.10.2025
    BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Erstmals ist es einem Team an BESSY II gelungen, experimentell eindimensionale elektronische Eigenschaften in Phosphor nachzuweisen. Die Proben bestanden aus kurzen Ketten aus Phosphoratomen, die sich auf einem Silbersubstrat selbst organisiert in bestimmten Winkeln bilden. Durch eine raffinierte Auswertung gelang es, die Beiträge von unterschiedlich ausgerichteten Ketten voneinander zu trennen und zu zeigen, dass die elektronischen Eigenschaften tatsächlich einen eindimensionalen Charakter besitzen. Berechnungen zeigten darüber hinaus, dass ein spannender Phasenübergang zu erwarten ist. Während das Material aus einzelnen Ketten halbleitend ist, wäre eine sehr dichte Kettenstruktur metallisch.
  • Ein innerer Kompass für Meereslebewesen im Paläozän
    Science Highlight
    20.10.2025
    Ein innerer Kompass für Meereslebewesen im Paläozän
    Vor Jahrmillionen produzierten einige Meeresorganismen mysteriöse Magnetpartikel von ungewöhnlicher Größe, die heute als Fossilien in Sedimenten zu finden sind. Nun ist es einem internationalen Team gelungen, die magnetischen Domänen auf einem dieser „Riesenmagnetfossilien” mit einer raffinierten Methode an der Diamond-Röntgenquelle zu kartieren. Ihre Analyse zeigt, dass diese Partikel es den Organismen ermöglicht haben könnten, winzige Schwankungen sowohl in der Richtung als auch in der Intensität des Erdmagnetfelds wahrzunehmen. Dadurch konnten sie sich verorten und über den Ozean navigieren. Die neue Methode eignet sich auch, um zu testen, ob bestimmte Eisenoxidpartikel in Marsproben tatsächlich biogenen Ursprungs sind.