Informationstechnologien: Topologische Materialien für die ultraschnelle Spintronik

Schnappsch&uuml;sse der elektronischen Struktur von Antimon mit Zeitaufl&ouml;sung im Femtosekundenbereich. Besonders zu beachten ist die Region oberhalb der Fermi-Energie E<sub>F</sub>.

Schnappschüsse der elektronischen Struktur von Antimon mit Zeitauflösung im Femtosekundenbereich. Besonders zu beachten ist die Region oberhalb der Fermi-Energie EF. © HZB/Nature Communication Physics (2021)

Ein Team um den HZB-Physiker Dr. Jaime Sánchez-Barriga hat neue Einblicke in die ultraschnelle Anregung und Reaktion von Toplogischen Zuständen der Materie  auf Femtosekunden-Laseranregung gewonnen. Mit zeit- und spinaufgelösten Methoden untersuchten die Physiker an BESSY II, wie das komplexe Wechselspiel im Verhalten angeregter Elektronen im Volumen und an der Oberfläche nach optischer Anregung zu einer ungewöhnlichen Spindynamik führt. Die Arbeit ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu spintronischen Bauelementen auf Basis topologischer Materialien für die ultraschnelle Informationsverarbeitung.

Die Gesetze der Quantenphysik beherrschen den Mikrokosmos. Sie bestimmen zum Beispiel, wie leicht sich Elektronen durch ein Kristallgitter bewegen und ob das Material metallische Eigenschaften hat, ein Halbleiter oder ein Isolator ist. Die Quantenphysik führt in bestimmten Materialien auch zu exotischen Eigenschaften:

In sogenannten topologischen Isolatoren bewegen sich Elektronen in bestimmten Quantenzustände wie masselose Teilchen an der Oberfläche völlig frei, während Elektronen im Materialvolumen nicht beweglich sind. Darüber hinaus sind die Leitungselektronen in der "Haut" des Materials grundsätzlich spinpolarisiert und bilden robuste, metallische Oberflächenzustände, die als Kanäle genutzt werden könnten, um Spinströme auf Femtosekunden-Zeitskalen (1 fs= 10-15 s) zu erzeugen.

Informationen mit Hilfe von Spins übertragen

Diese Eigenschaften von topologischen Materialien eröffnen neue Möglichkeiten für neue Informationstechnologien wie die ultraschnelle Spintronik, für die der Spin der Elektronen auf ihren Oberflächen und nicht die Ladung ausgenutzt wird. Insbesondere die optische Anregung durch Femtosekunden-Laserpulse in diesen Materialien wäre eine interessante Option, um Spin-Informationen verlustfreie und etwa tausendmal schneller (im Vergleich zu modernen elektronischen Bauelementen) zu übertragen.

Allerdings sind noch viele Fragen zu klären, bevor spintronische Bauelemente entwickelt werden können. Zum Beispiel, wie genau die Volumen (Bulk)- und Oberflächenelektronen eines topologischen Materials auf Laserpulse reagieren und wie stark sich ihr kollektives Verhalten auf ultrakurzen Zeitskalen überschneidet.

Komplexe Physik in einem einfachen System

Ein Team um den HZB-Physiker Dr. Jaime Sánchez-Barriga hat nun neue Erkenntnisse über solche Mechanismen veröffentlicht. Das Team, das auch eine Helmholtz-RSF Joint Research Group in Zusammenarbeit mit Kollegen der Lomonosov State University, Moskau, aufgebaut hat, untersuchte Einkristalle aus elementarem Antimon (Sb), von dem man annahm, dass es ein topologisches Material ist. „Es ist eine gute Strategie, interessante Physik in einem einfachen System zu untersuchen, denn dort können wir hoffen, die grundlegenden Prinzipien zu verstehen", erklärt Sánchez-Barriga. „Um die topologischen Eigenschaften dieses Materials experimentell nachzuweisen, mussten wir die elektronische Struktur in einem hoch angeregten Zustand mit Zeit-, Spin-, Energie- und Impulsauflösung analysieren. Auf diese Weise erhielten wir Zugang zu einer ungewöhnlichen Elektronendynamik", ergänzt der Physiker.

Aus dem Gleichgewicht

Ziel war es, zu verstehen, wie schnell angeregte Elektronen im Volumen und an der Oberfläche von Antimon auf den Energieeintrag von außen reagieren, und die Mechanismen zu erforschen, die ihre Reaktion steuern. „Wir konnten ein vollständiges zeitaufgelöstes Bild davon erstellen, wie angeregte Zustände auf ultraschnellen Zeitskalen das Gleichgewicht verlassen und wieder zurückkehren. Die einzigartige Kombination von zeit- und spin-aufgelösten Messungen erlaubte es uns auch, die Spin-Polarisation von angeregten Zuständen weit außerhalb des Gleichgewichts direkt zu untersuchen", sagt Dr. Oliver J. Clark.

Mehr Masse

Die Daten zeigen einen "Knick" in den Energie-Impuls-Kurven der Oberflächenzustände, der als Zunahme der effektiven Elektronenmasse interpretiert werden kann. Diese Massenerhöhung bestimmt das komplexe Wechselspiel im dynamischen Verhalten von Elektronen aus dem Volumen und der Oberfläche nach der ultraschnellen optischen Anregung entscheidend mit, auch in Abhängigkeit von ihrem Spin.

Kontrolle von spinpolarisierten Strömen

"Unsere Forschung zeigt, welche Eigenschaften dieser Materialklasse der Schlüssel sind, um die relevanten Zeitskalen, in denen verlustfreie spinpolarisierte Ströme erzeugt und manipuliert werden können, systematisch zu kontrollieren", erklärt Sánchez-Barriga. Dies sind wichtige Schritte auf dem Weg zu spintronischen Bauelementen, auf Basis topologischer Materialien für die ultraschnelle Informationsverarbeitung.

 

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Schriftrollen aus buddhistischem Schrein an BESSY II virtuell entrollt
    Science Highlight
    23.07.2025
    Schriftrollen aus buddhistischem Schrein an BESSY II virtuell entrollt
    In der mongolischen Sammlung des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin befindet sich ein einzigartiger Gungervaa-Schrein. Der Schrein enthält auch drei kleine Röllchen aus eng gewickelten langen Streifen, die in Seide gewickelt und verklebt sind. Ein Team am HZB konnte die Schrift auf den Streifen teilweise sichtbar machen, ohne die Röllchen durch Aufwickeln zu beschädigen. Mit 3D-Röntgentomographie erstellten sie eine Datenkopie des Röllchens und verwendeten im Anschluss ein mathematisches Verfahren, um den Streifen virtuell zu entrollen. Das Verfahren wird auch in der Batterieforschung angewandt.
  • Langzeittest zeigt: Effizienz von Perowskit-Zellen schwankt mit der Jahreszeit
    Science Highlight
    21.07.2025
    Langzeittest zeigt: Effizienz von Perowskit-Zellen schwankt mit der Jahreszeit
    Auf dem Dach eines Forschungsgebäudes am Campus Adlershof läuft ein einzigartiger Langzeitversuch: Die unterschiedlichsten Solarzellen sind dort über Jahre Wind und Wetter ausgesetzt und werden dabei vermessen. Darunter sind auch Perowskit-Solarzellen. Sie zeichnen sich durch hohe Effizienz zu geringen Herstellungskosten aus. Das Team um Dr. Carolin Ulbrich und Dr. Mark Khenkin hat Messdaten aus vier Jahren ausgewertet und in der Fachzeitschrift Advanced Energy Materials vorgestellt. Dies ist die bislang längste Messreihe zu Perowskit-Zellen im Außeneinsatz. Eine Erkenntnis: Standard-Perowskit-Solarzellen funktionieren während der Sommersaison auch über mehrere Jahre sehr gut, lassen jedoch in der dunkleren Jahreszeit etwas nach. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag, um das Verhalten von Perowskit-Solarzellen unter realen Bedingungen zu verstehen.

  • Natrium-Ionen-Batterien: Neuer Speichermodus für Kathodenmaterialien
    Science Highlight
    18.07.2025
    Natrium-Ionen-Batterien: Neuer Speichermodus für Kathodenmaterialien
    Batterien funktionieren, indem Ionen zwischen zwei chemisch unterschiedlichen Elektroden gespeichert und ausgetauscht werden. Dieser Prozess wird Interkalation genannt. Bei der Ko-Interkalation werden dagegen sowohl Ionen als auch Lösungsmittelmoleküle in den Elektrodenmaterialien gespeichert, was bisher als ungünstig galt. Ein internationales Team unter der Leitung von Philipp Adelhelm hat nun jedoch gezeigt, dass die Ko-Interkalation in Natrium-Ionen-Batterien mit den geeigneten Kathodenmaterialien funktionieren kann. Dieser Ansatz bietet neue Entwicklungsmöglichkeiten für Batterien mit hoher Effizienz und schnellen Ladefähigkeiten. Die Ergebnisse wurden in Nature Materials veröffentlicht.