Neutronenexperiment am BER II deckt neue Spin-Phase in Quantenmaterial auf

Schematische Darstellung eines 2D-Spin-Gitters mit orthogonal ausgerichteten Spinpaaren. Die rot/blauen und grünen Wirbel stehen für Magnonenpaare.

Schematische Darstellung eines 2D-Spin-Gitters mit orthogonal ausgerichteten Spinpaaren. Die rot/blauen und grünen Wirbel stehen für Magnonenpaare. © EPFL

Das Mess-Team vor dem Hochfeldmagneten am BER II Ende 2019. Koji Munakata, Kazuhisa Kakurai, Gaétan Giriat, Luc Testa, Jana Pásztorová, Ellen Fogh und Henrik M. Rønnow (v.l.n.r.). Manche aus der Gruppe haben nicht zu dieser hier besprochenen Arbeit bei Umgebungsdruck beigetragen, sondern das Verhalten des Modellsystems unter hohem Druck gemessen.

Das Mess-Team vor dem Hochfeldmagneten am BER II Ende 2019. Koji Munakata, Kazuhisa Kakurai, Gaétan Giriat, Luc Testa, Jana Pásztorová, Ellen Fogh und Henrik M. Rønnow (v.l.n.r.). Manche aus der Gruppe haben nicht zu dieser hier besprochenen Arbeit bei Umgebungsdruck beigetragen, sondern das Verhalten des Modellsystems unter hohem Druck gemessen. © EPFL/HZB

In quantenmagnetischen Materialien unter Magnetfeldern können neue Ordnungszustände entstehen. Nun hat ein internationales Team aus Experimenten an der Berliner Neutronenquelle BER II und am dort aufgebauten Hochfeldmagneten neue Einblicke in diese besonderen Materiezustände gewonnen. Der BER II wurde bis Ende 2019 intensiv für die Forschung genutzt und ist seitdem abgeschaltet. Noch immer werden neue Ergebnisse aus Messdaten am BER II publiziert.

„Wir haben diese Proben im November 2019 am Hochfeldmagneten untersucht, das war eines der letzten Experimente am BER II“, erinnert sich Dr. Elllen Fogh. Die Physikerin, die am Laboratory for Quantum Magnetism, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) ein Team leitet, hat nun zusammen mit internationalen Teams aus Japan, Qatar und der Schweiz die Ergebnisse publiziert, die interessante neue Einblicke in Quantenmaterialien bieten.

„Viele Effekte in Materie zeigen sich erst unter extremen Bedingungen, also Temperaturen nahe am Nullpunkt und Magnetfeldern oberhalb von 20 Tesla“, sagt sie. Dafür war die Berliner Neutronenquelle der perfekte Ort, denn hier hatte ein HZB-Team in jahrelanger Arbeit einen einzigartigen Hochfeldmagneten aufgebaut, der ein Magnetfeld von fast 26 Tesla erzeugen konnte.

„Die Auswertung hat viel Zeit benötigt“ erklärt Dr. Ellen Fogh. Denn die Neutronenstreudaten liefern nicht automatisch ein Bild, sondern müssen interpretiert werden. Dies gelingt nur mit überzeugenden theoretischen Modellen. „Wie beim Ping-Pong haben wir die Messdaten mit einem Theorie-Team hin- und her gespielt, aber nun haben wir einige Aussagen gut herausarbeiten können.“

Sie untersuchte Proben aus SrCu2(BO3)2 – ein Modellsystem für ideale Frustration in einem zweidimensionalen (2D) Spinsystem. Es besteht aus halbzahligen Spin-Einheiten, die orthogonal auf einem quadratischen Gitter angeordnet sind und sich gegenseitig auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Diese „ideal frustrierte“ Geometrie führt zu vielen unkonventionellen Effekten, die mit Quasiteilchen „Magnonen“ und ihren Anregungen beschrieben werden. Die magnetische Ordnung in quantenungeordneten magnetischen Materialien wird üblicherweise als Bose-Einstein-Kondensation (BEC) von Magnonen beschrieben.

„Wir wollten herausfinden, ob diese Magnon BEC bei hohen Magnetfeldern auch in unserem Modellsystem erscheint, oder ob es hier einen alternativen Mechanismus gibt,“ sagt Fogh. Das Neutronenstreuexperiment am Hochfeldmagneten des BER II war dafür ideal geeignet: „Damit konnten wir Spinanregungen von SrCu2(BO3)2 bis zu 25,9 T messen, und mit Hilfe theoretischer Modelle die experimentellen Spektren mit hoher Genauigkeit reproduzieren. Die Versuche fanden bei Umgebungsdruck und Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt statt, bei 200 Millikelvin.“

Die Auswertung und Interpretation der Messdaten zeigt, dass sich unter diesen extrem hohen Magnetfeldern eine spin-nematische Phase etabliert, die auch bestimmte Magnon-Phänomene aufweist. Es findet sich sogar eine Analogie zur Supraleitung, was darauf hindeutet, dass die spin-nematische Phase in SrCu2(BO3)2 am besten als Kondensat bosonischer Cooper-Paare zu verstehen ist.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich mit Hilfe von Neutronenstreu-Experimenten unter extrem hohen Magnetfeldern noch unbekannte Regionen der Materie erkunden lassen, insbesondere korrelierte Phasen von Vielteilchensystemen. „Unter den Bedingungen von starker Frustration und kontrollierten Extrembedingungen sind noch viele neuartige Zustände und Ordnungen zu finden“, meint Fogh.

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Protonen gegen Krebs: Neue Forschungsbeamline für innovative Strahlentherapien
    Nachricht
    27.11.2024
    Protonen gegen Krebs: Neue Forschungsbeamline für innovative Strahlentherapien
    Das HZB hat gemeinsam mit der Universität der Bundeswehr München eine neue Beamline für die präklinische Forschung eingerichtet. Sie ermöglicht künftig am HZB Experimente an biologischen Proben zu innovativen Strahlentherapien mit Protonen.
  • Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Science Highlight
    18.11.2024
    Batterieforschung mit dem HZB-Röntgenmikroskop
    Um die Kapazität von Lithiumbatterien weiter zu steigern, werden neue Kathodenmaterialien entwickelt. Mehrschichtige lithiumreiche Übergangsmetalloxide (LRTMO) ermöglichen eine besonders hohe Energiedichte. Mit jedem Ladezyklus wird jedoch ihre Kapazität geringer, was mit strukturellen und chemischen Veränderungen zusammenhängt. Mit Röntgenuntersuchungen an BESSY II hat nun ein Team aus chinesischen Forschungseinrichtungen diese Veränderungen erstmals experimentell mit höchster Präzision vermessen: Mit dem einzigartigen Röntgenmikroskop konnten sie morphologische und strukturelle Entwicklungen auf der Nanometerskala beobachten und dabei auch chemische Veränderungen aufklären.

  • BESSY II: Neues Verfahren für bessere Thermokunststoffe
    Science Highlight
    04.11.2024
    BESSY II: Neues Verfahren für bessere Thermokunststoffe
    Umweltfreundliche Thermoplaste aus nachwachsenden Rohstoffen lassen sich nach Gebrauch recyclen. Ihre Belastbarkeit lässt sich verbessern, indem man sie mit anderen Thermoplasten mischt. Um optimale Eigenschaften zu erzielen, kommt es jedoch auf die Grenzflächen in diesen Mischungen an. Ein Team der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden hat nun an BESSY II untersucht, wie sich mit einem neuen Verfahren aus zwei Grundmaterialien thermoplastische „Blends“ mit hoher Grenzflächenfestigkeit herstellen lassen: Aufnahmen an der neuen Nanostation der IRIS-Beamline zeigten, dass sich dabei nanokristalline Schichten bilden, die die Leistungsfähigkeit des Materials erhöhen.