Tiefer Röntgenblick zeigt: Supraleiter sind komplizierter als gedacht - Rätselhaft verschwindende Streifenstruktur

HZB-Wissenschaftler Dr. Christian Schüßler-Langeheine

HZB-Wissenschaftler Dr. Christian Schüßler-Langeheine

Keramische Supraleiter sind komplizierter als gedacht. Das zeigt eine Untersuchung sogenannter Lanthan-Cuprate mit den Röntgenquellen BESSY II am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) und DORIS III bei DESY in Hamburg. Die elektrischen Strukturen, die sich in dem Material ausbilden, können demnach in der Nähe der Oberfläche ganz anders sein als in der Tiefe. Dieses Wissen ist wichtig für das Verständnis der komplizierten Vorgänge in den widerstandsfreien Stromleitern und kann der Konstruktion neuer Supraleiter mit maßgeschneiderten Eigenschaften helfen. Allerdings bedeutet sie auch, dass eine Reihe von Untersuchungen unter Umständen ergänzt werden müssen, wie das internationale Team um HZB-Forscher Christian Schüßler-Langeheine im Fachjournal "Nature Communications" berichtet.

Supraleiter sind Stoffe, die unterhalb einer charakteristischen Sprungtemperatur jeden elektrischen Widerstand verlieren und Strom vollkommen verlustfrei leiten. Diese Eigenschaft macht sie für zahlreiche Anwendungen interessant. Allerdings liegt die Sprungtemperatur bei klassischen Supraleitern so nahe am absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius, dass flüssiges Helium als Kühlmittel nötig ist. Helium ist teuer und die Verflüssigung aufwendig, so dass die Anwendung weitgehend auf Forschungsanlagen wie etwa den weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC am Genfer Forschungszentrum CERN oder den im Bau befindlichen Europäischen Röntgenlaser European XFEL in Hamburg begrenzt ist.

Eine interessante Perspektive bieten jedoch sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter (HTS), von denen manche immerhin schon bei der Temperatur von flüssigem Stickstoff (knapp minus 200 Grad) ihren elektrischen Widerstand verlieren. Flüssiger Stickstoff, oft auch als flüssige Luft bezeichnet, ist sehr viel billiger und einfacher herzustellen als flüssiges Helium. Diese 1986 entdeckten keramischen Supraleiter sind allerdings oft spröde und daher schwer zu verarbeiten. Zudem sind die Vorgänge, die das Material supraleitend machen, kompliziert und noch nicht im Detail geklärt. Mit einem vollen Verständnis der physikalischen Vorgänge in dem Material hoffen Forscher, Hochtemperatur-Supraleiter maßschneidern zu können, die möglicherweise sogar bereits bei Raumtemperatur verlustfrei leiten.

Eine wichtige Stoffklasse der Hochtemperatur-Supraleiter sind die sogenannten Cuprate, das sind Kupferverbindungen, die ein kupferhaltiges Anion besitzen. Die „Mutter“ dieser verschiedenen HTS ist ein Cuprat, das die seltene Erde Lanthan enthält, sogenanntes Lanthan-Cuprat. Aus dieser Verbindung lassen sich durch das gezielte Einschleusen verschiedener Metalle wie etwa Barium oder Strontium Supraleiter mit unterschiedlichen Eigenschaften herstellen. Ein Lanthan-Barium-Cuprat war die erste Verbindung, die 1986 als Hochtemperatur-Supraleiter identifiziert wurde.

Bis heute ist die genaue Funktion der Hochtemperatur-Supraleiter nicht im Detail verstanden. Untersuchungen mit Röntgenstrahlen und mit Neutronen haben jedoch gezeigt, dass sich in den Lanthan-Cupraten nach dem Einfügen (Dotieren) mit Metallen eine magnetische und elektrische Streifenstruktur ausbildet. Elektrisch geladene, nicht-magnetische Kupferionen ordnen sich dabei zu regelmäßigen Streifen an. Die Forscher nehmen an, dass diese Streifen die Supraleitung behindern. Interessanterweise ließ sich diese elektrische Streifenstruktur bei Lanthan-Strontium-Cuprat bislang nicht nachweisen.

An der Berliner Röntgenquelle BESSY II gelang es dem Team um Schüßler-Langeheine nun, die gesuchten Ladungsstreifen auch in Lanthan-Strontium-Cuprat aufzuspüren. Die tiefergehende Untersuchung an der DESY-Röntgenquelle DORIS III zeigte jedoch, dass sich diese Struktur anders als erwartet nicht in der Tiefe des Materials fortsetzt. Ab einer bestimmten Materialtiefe verschwinden die Ladungsstreifen. Warum das so ist, ist noch ungeklärt. Die Physiker hoffen nun, dass sich mit den Informationen aus dem Lanthan-Strontium-Cuprat die allgemeine Bedeutung der Ladungsstreifen für die Supraleitung entschlüsseln lässt.

Die Röntgenanalyse belegt auch, dass die derzeit am häufigsten verwendete Untersuchungsmethode überraschenderweise nicht immer das ganze Bild zeigt. „Vieles, was man über Cuprate weiß, beruht auf Oberflächenuntersuchungen“, erläutert Schüßler-Langeheine. „Offensichtlich können die Oberflächeneigenschaften jedoch von denen in der Tiefe des Materials abweichen.“ Weitere Untersuchungen müssen nun zeigen, wie stark auch die Eigenschaften anderer supraleitender Cuprate zwischen Oberfläche und Tiefe variieren.


Originalaufsatz: Charge stripe order near the surface of 12 percent-doped La2-xSrxCuO4; Wu et al.; “Nature Communications”; Fachartikelnummer DOI 10.1038/ncomms2019
Text: Till Munzeck (DESY)

Hannes Schlender

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Science Highlight
    21.10.2025
    BESSY II: Phosphorketten – ein 1D-Material mit 1D elektronischen Eigenschaften
    Erstmals ist es einem Team an BESSY II gelungen, experimentell eindimensionale elektronische Eigenschaften in einem Material nachzuweisen. Die Proben bestanden aus kurzen Ketten aus Phosphoratomen, die sich auf einem Silbersubstrat selbst organisiert in bestimmten Winkeln bilden. Durch eine raffinierte Auswertung gelang es, die Beiträge von unterschiedlich ausgerichteten Ketten voneinander zu trennen und zu zeigen, dass die elektronischen Eigenschaften tatsächlich einen eindimensionalen Charakter besitzen. Berechnungen zeigten darüber hinaus, dass ein spannender Phasenübergang zu erwarten ist. Während das Material aus einzelnen Ketten halbleitend ist, wäre eine sehr dichte Kettenstruktur metallisch.
  • MAX IV und BESSY II treiben Materialwissenschaften gemeinsam voran
    Nachricht
    17.06.2025
    MAX IV und BESSY II treiben Materialwissenschaften gemeinsam voran
    Das schwedische Synchrotron-Labor MAX IV und das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) mit der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II haben am 16. Juni eine Kooperationsvereinbarung mit fünfjähriger Laufzeit unterzeichnet. Sie schafft den Rahmen für eine verstärkte Zusammenarbeit bei der operativen und technologischen Entwicklung in den Bereichen Beschleunigerforschung und -entwicklung, Strahlführungen und Optik, Experimentierstationen und Probenumgebungen sowie Digitalisierung und Datenwissenschaft.
  • BESSY II: Einblick in ultraschnelle Spinprozesse mit Femtoslicing
    Science Highlight
    05.05.2025
    BESSY II: Einblick in ultraschnelle Spinprozesse mit Femtoslicing
    Einem internationalen Team ist es an BESSY II erstmals gelungen, einen besonders schnellen Prozess im Inneren eines magnetischen Schichtsystems, eines Spinventils, aufzuklären: An der Femtoslicing-Beamline von BESSY II konnten sie die ultraschnelle Entmagnetisierung durch spinpolarisierte Stromimpulse beobachten. Die Ergebnisse helfen bei der Entwicklung von spintronischen Bauelementen für die schnellere und energieeffizientere Verarbeitung und Speicherung von Information. An der Zusammenarbeit waren Teams der Universität Straßburg, des HZB, der Universität Uppsala sowie weiterer Universitäten beteiligt.