Röntgentomoskopie: Wie sich beim Gefrierguss komplexe Strukturen bilden

Das 3D-Tomogramm zeigt einen Querschnitt durch die erstarrte Probe, in der sich zwei Phasen voneinander getrennt haben: die Eiskristallphase in blau und die Zuckerphase in rot. Die lamellare Struktur wurde von den Eiskristallen geformt.

Das 3D-Tomogramm zeigt einen Querschnitt durch die erstarrte Probe, in der sich zwei Phasen voneinander getrennt haben: die Eiskristallphase in blau und die Zuckerphase in rot. Die lamellare Struktur wurde von den Eiskristallen geformt.

Mit Gefriergussverfahren lassen sich hochporöse und hierarchisch strukturierte Materialien herstellen, die eine große Oberfläche aufweisen. Sie eignen sich für unterschiedlichste Anwendungen, als Elektroden für Batterien, Katalysatormaterialien oder in der Biomedizin. Nun hat ein Team um Prof. Ulrike G. K. Wegst, Northeastern University, Boston, MA, USA, und Dr. Francisco García Moreno vom Helmholtz-Zentrum Berlin an der Swiss Light Source des Paul-Scherrer-Instituts mit dem neu entwickelten Verfahren der Röntgentomoskopie erstmals in Echtzeit und hoher Auflösung beobachtet, wie der Prozess der Strukturbildung beim Gefriergussverfahren abläuft. Als Modellsystem diente eine Zuckerlösung.

Gefriergussverfahren benötigen mehrere Schritte: Zunächst wird eine Substanz in einem Lösungsmittel gelöst oder aufgeschwemmt und daraufhin in einer Kühlzelle mit einer am Boden angelegten Kühlrate eingefroren (gerichtetes Gefrieren). Nach dem Gefrieren wird das kristallisierte Lösungsmittel durch Sublimation entfernt. Übrig bleiben die vormals gelöste Substanz und aufgeschwemmte Partikel, die die Zellwände einer komplexen, hochporösen Architektur bilden.

Gefriergegossene Werkstoffe lassen sich für viele Einsatzbereiche nutzen

Aufgrund ihrer enormen inneren Oberflächen eignen sie sich als Batterieelektroden oder Katalysatoren. Ihre gerichtete Porenstruktur ermöglicht aber auch biomedizinische Anwendungen, zum Beispiel als Gerüststrukturen zur Regeneration von Nervenbahnen. Wie aber der Prozess der hierarchischen Strukturbildung beim Gefrieren im Detail abläuft, und wie sich die gewünschte wabenartige, gerichtete Porosität und die Zellwände mit ihren Oberflächenstrukturen bilden, blieb bisher im Dunkeln.

Dr. Francisco García Moreno vom Helmholtz-Zentrum Berlin hat zusammen mit seinem Team eine Methode entwickelt, mit der sich diese Prozesse genau beobachten lassen. „Mit der Röntgentomoskopie können wir den Mechanismus der Strukturbildung in situ mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung abbilden und dabei sogar flüchtige Phänomene und Übergangsstrukturen beobachten“, erklärt der Physiker.

Gefriergießen: hohe Leistungsfähigkeit der Methode bewiesen

Mit einem ultraschnellen Drehtisch, intensiver Röntgenstrahlung sowie einem extrem schnellen Detektor und Software für die rasche Auswertung der Röntgendaten hat das HZB-Team gemeinsam mit Kollegen an der Swiss Light Source des Paul-Scherrer-Instituts das Gefriergießen an einem Modellsystem untersucht und die hohe Leistungsfähigkeit der Methode bewiesen. „Für diese Studie haben wir eine neue Messzelle mit Sensoren entwickelt, um den Temperaturgradienten genau zu erfassen“, sagt Dr. Paul Kamm (HZB), Erstautor der Studie. Pro Sekunde entstand ein 3D-Tomogramm mit einer räumlichen Auflösung von 6 µm. Über 270 Sekunden ließ sich der gesamte Prozess des Gefrierens dokumentieren.

Prof. Ulrike G. K. Wegst von der Northeastern University, USA, hatte vorgeschlagen, als polymeres Modellsystem eine wässrige Zuckerlösung zu untersuchen, weil erstens wässrige Lösungen noch immer im Gefriergussverfahren dominieren, und zweitens sich ihr Verhalten gut rechnerisch simulieren lässt. „Wir konnten nun erstmals experimentell beobachten wie die Eiskristalle aus der Lösung gerichtet wachsen“, sagt Wegst. „Dabei dokumentieren die Aufnahmen, wie sich Instabilitäten beim Kristallwachstum bilden, und wie diese die Zuckerphase formen. Dabei entstehen charakteristische, organisch wirkende Strukturen, die an Quallen und Tentakel erinnern.“ Interessant ist auch, dass einige dieser Strukturen teilweise wieder verschwinden.

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Iridiumfreie Katalysatoren für die saure Wasserelektrolyse untersucht
    Science Highlight
    13.08.2025
    Iridiumfreie Katalysatoren für die saure Wasserelektrolyse untersucht
    Wasserstoff wird künftig eine wichtige Rolle spielen, als Brennstoff und als Rohstoff für die Industrie. Um jedoch relevante Mengen an Wasserstoff zu produzieren, muss Wasserelektrolyse im Multi-Gigawatt-Maßstab machbar werden. Ein Engpass sind die benötigten Katalysatoren, insbesondere Iridium ist ein extrem seltenes Element. Eine internationale Kooperation hat daher Iridiumfreie Katalysatoren für die saure Wasserelektrolyse untersucht, die auf dem Element Kobalt basieren. Durch Untersuchungen, unter anderem am LiXEdrom an der Berliner Röntgenquelle BESSY II, konnten sie Prozesse bei der Wasserelektrolyse in einem Kobalt-Eisen-Blei-Oxid-Material als Anode aufklären. Die Studie ist in Nature Energy publiziert.
  • MXene als „Rahmen“ für zweidimensionale Wasserfilme zeigt neue Eigenschaften
    Science Highlight
    13.08.2025
    MXene als „Rahmen“ für zweidimensionale Wasserfilme zeigt neue Eigenschaften
    Ein internationales Team unter Leitung von Dr. Tristan Petit und Prof. Yury Gogotsi hat MXene mit eingeschlossenem Wasser und Ionen an der BESSY II untersucht. Dabei ging das Wasser mit steigender Temperatur vom Zustand als lokalisierte Eiskluster in einen quasi-zweidimensionalen Wasserfilm über. Das Team entdeckte dabei, dass diese strukturellen Veränderungen des eingeschlossenen Wassers im MXene einen reversiblen Phasenübergang bewirken: vom Metall zum Halbleiter. Dies könnte die Entwicklung neuartiger Bauelemente oder Sensoren auf Basis von MXenen ermöglichen.
  • Lithium-Schwefel-Batterien mit wenig Elektrolyt: Problemzonen identifiziert
    Science Highlight
    12.08.2025
    Lithium-Schwefel-Batterien mit wenig Elektrolyt: Problemzonen identifiziert
    Mit einer zerstörungsfreien Methode hat ein Team am HZB erstmals Lithium-Schwefel-Batterien im praktischen Pouchzellenformat untersucht, die mit besonders wenig Elektrolyt-Flüssigkeit auskommen. Mit operando Neutronentomographie konnten sie in Echtzeit visualisieren, wie sich der flüssige Elektrolyt während des Ladens und Entladens über mehrere Schichten verteilt und die Elektroden benetzt. Diese Erkenntnisse liefern wertvolle Einblicke in die Mechanismen, die zum Versagen der Batterie führen können, und sind hilfreich für die Entwicklung kompakter Li-S-Batterien mit hoher Energiedichte.