Thermoelektrika: Neue Einblicke ins Rekordmaterial Zinnselenid

Zinnselenid besitzt eine schichtartige orthorhombische Kristallstruktur (links). Oberhalb von 500 Grad Celsius (rechts) ändert sich die Anordnung der Schichten.

Zinnselenid besitzt eine schichtartige orthorhombische Kristallstruktur (links). Oberhalb von 500 Grad Celsius (rechts) ändert sich die Anordnung der Schichten. © HZB

Bei den Thermoelektrika könnte Zinnselenid die bisherigen Rekordhalter aus Wismuttellurid an Effizienz deutlich übertreffen. Allerdings ist der thermoelektrische Effekt in Zinnselenid nur bei Temperaturen oberhalb von 500 Grad so enorm. Nun zeigen Messungen an den Synchrotronquellen BESSY II und PETRA III, dass sich Zinnselenid auch bei Raumtemperatur als Thermoelektrikum nutzen lässt – sofern man hohen Druck anlegt.

Seit 1821 ist der thermoelektrische Effekt bekannt: In bestimmten Materialkombinationen erzeugt ein Temperaturunterschied einen elektrischen Strom. Wird ein Ende der Probe erhitzt, beispielsweise durch Abwärme aus einem Verbrennungsmotor, dann kann ein Teil dieser sonst verlorenen Energie in elektrische Energie umgewandelt werden. Allerdings ist der thermoelektrische Effekt in den meisten Materialien extrem klein. Denn für einen großen thermoelektrischen Effekt muss die Wärmeleitung schlecht sein, die elektrische Leitfähigkeit dagegen hoch. Fast immer hängen Wärmeleitung und elektrische Leitfähigkeit jedoch eng zusammen.  

Deshalb setzt man bei der Suche nach thermoelektrischen Elementen auf Verbindungen mit speziellen kristallinen Strukturen wie Wismuttellurid (Bi2Te3). Wismuttellurit zählt zu den besten bisher bekannten Thermoelektrika. Allerdings zählen sowohl Wismut als auch Tellur zu den seltenen Elementen, was der massenhaften Verwendung Grenzen setzt. Die Suche nach geeigneten Thermoelektrika aus reichlich vorhandenen ungiftigen Elementen geht also weiter.

Rekordwerte in Zinnselenid oberhalb von 500 °C

Vor sechs Jahren entdeckte ein Forschungsteam aus den USA (https://www.nature.com/articles/nature13184), dass Zinnselenid oberhalb von 500 Grad Celsius etwa 20 Prozent der Wärme in elektrische Energie umwandeln kann. Dieser Wert ist enorm und übersteigt den Wert von Wismuttellurid deutlich. Außerdem sind Zinn und Selen ausreichend verfügbar.

Verantwortlich für diesen sehr großen thermoelektrischen Effekt ist ein sogenannter struktureller Phasenübergang: Zinnselenid ist aus Schichten aufgebaut, ähnlich wie ein Blätterteig. Oberhalb von 500 Grad Celsius beginnen sich die Schichten gegeneinander neu anzuordnen: Dabei nimmt die Wärmeleitung in einer Richtung ab, während die Ladungsträger beweglich bleiben. In dieser Richtung wird der thermoelektrische Effekt in Zinnselenid bisher von keinem anderen Material übertroffen.

Infrarotspektroskopie zeigt: Druck funktioniert ebenfalls

Nun hat ein internationales Team um Dr. Ulrich Schade am HZB mit Hilfe von Infrarotspektroskopie an BESSY II und mit harter Röntgenstrahlung an PETRA III Proben aus Zinnselenid durchleuchtet. Die Messungen zeigen, dass die gewünschte Kristallstruktur entweder durch hohe Temperaturen bei Normaldruck oder durch hohen Druck (oberhalb von 10 GPa) bei Raumtemperatur erzeugt werden kann. Außerdem verändern sich in der Hochtemperatur-Struktur die elektronischen Eigenschaften der Probe von halbleitend zu halbmetallisch. Dies passt zu den Bandstrukturberechnungen.

“Wir können mit unseren Ergebnissen über einen weiten Temperatur- und Druckbereich erklären, warum Zinnselenid so ein herausragendes Thermoelektrikum ist“, sagt Ulrich Schade. Bis aber Thermoelektrika auf Basis von Zinnselenid auf den Markt kommen, sind weitere Schritte nötig, zum Beispiel, um die Langzeitstabilität zu verbessern. Dann aber könnte Zinnselenid eine preisgünstige Alternative zu Wismuttellurid werden.

Published in Physical Chemistry Chemical Physics (2019):

“Effects of temperature and pressure on the optical and vibrational properties of thermoelectric SnSe.” Ilias Efthimiopoulos, Matthias Berg, Annika Bande, Ljiljana Puskar, Eglof Ritter, Wei Xu, Augusto Marcelli, Michele Ortolani, Martin Harms, Jan Mueller, Sergio Speziale, Monika Koch-Mueller, Yong Liu, Li-Dong Zhao, and Ulrich Schade.

DOI: 10.1039/C9CP00897G

 

arö

  • Link kopieren

Das könnte Sie auch interessieren

  • Berliner Wissenschaftspreis geht an Philipp Adelhelm
    Nachricht
    24.07.2025
    Berliner Wissenschaftspreis geht an Philipp Adelhelm
    Der Batterieforscher Prof. Dr. Philipp Adelhelm wird mit dem Berliner Wissenschaftspreis 2024 ausgezeichnet.  Er ist Professor am Institut für Chemie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und leitet eine gemeinsame Forschungsgruppe der HU und des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB). Der Materialwissenschaftler und Elektrochemiker forscht zur Entwicklung nachhaltiger Batterien, die eine Schlüsselrolle für das Gelingen der Energiewende spielen. International zählt er zu den führenden Expert*innen auf dem Gebiet der Natrium-Ionen-Batterien.
  • Schriftrollen aus buddhistischem Schrein an BESSY II virtuell entrollt
    Science Highlight
    23.07.2025
    Schriftrollen aus buddhistischem Schrein an BESSY II virtuell entrollt
    In der mongolischen Sammlung des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin befindet sich ein einzigartiger Gungervaa-Schrein. Der Schrein enthält auch drei kleine Röllchen aus eng gewickelten langen Streifen, die in Seide gewickelt und verklebt sind. Ein Team am HZB konnte die Schrift auf den Streifen teilweise sichtbar machen, ohne die Röllchen durch Aufwickeln zu beschädigen. Mit 3D-Röntgentomographie erstellten sie eine Datenkopie des Röllchens und verwendeten im Anschluss ein mathematisches Verfahren, um den Streifen virtuell zu entrollen. Das Verfahren wird auch in der Batterieforschung angewandt.
  • Langzeittest zeigt: Effizienz von Perowskit-Zellen schwankt mit der Jahreszeit
    Science Highlight
    21.07.2025
    Langzeittest zeigt: Effizienz von Perowskit-Zellen schwankt mit der Jahreszeit
    Auf dem Dach eines Forschungsgebäudes am Campus Adlershof läuft ein einzigartiger Langzeitversuch: Die unterschiedlichsten Solarzellen sind dort über Jahre Wind und Wetter ausgesetzt und werden dabei vermessen. Darunter sind auch Perowskit-Solarzellen. Sie zeichnen sich durch hohe Effizienz zu geringen Herstellungskosten aus. Das Team um Dr. Carolin Ulbrich und Dr. Mark Khenkin hat Messdaten aus vier Jahren ausgewertet und in der Fachzeitschrift Advanced Energy Materials vorgestellt. Dies ist die bislang längste Messreihe zu Perowskit-Zellen im Außeneinsatz. Eine Erkenntnis: Standard-Perowskit-Solarzellen funktionieren während der Sommersaison auch über mehrere Jahre sehr gut, lassen jedoch in der dunkleren Jahreszeit etwas nach. Die Arbeit ist ein wichtiger Beitrag, um das Verhalten von Perowskit-Solarzellen unter realen Bedingungen zu verstehen.